Uns werden momentan mehrere Abmahnungen des Berliner Rechtsanwalts Kilian Lenard vorgelegt. RA Lenard tritt dabei im Auftrag des Herrn Martin Ismail auf. In den älteren Abmahnungen wird teilweise keine Anschrift des Herrn Ismail mitgeteilt, in neueren wird die Anschrift: „Im Dorfe 40, 30453 Hannover“ mitgeteilt. Herr Ismail sei Teil der „Interessensgemeinschaft Datenschutz“, die sich der Durchsetzung des Datenschutzes auf zivilrechtlichem Weg verschrieben habe. Der IG Datenschutz sei aufgefallen, dass der betroffene Adressat auf seinen Webseiten Google Fonts verwendet und die IP-Adresse des Webseitenbesuchers damit in die USA weitergeleitet würde. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seiner „Mandantschaft“ sei verletzt, wobei Rechtsanwalt Lenard nicht klar macht, ob er damit Herrn Ismail oder die vorgebliche „IG Datenschutz“ meint. Insgesamt wirken die Abmahnungen auf uns eher befremdlich, da sie einen hohen Grad an Automatisierung und Standardisierung aufweisen.
Wir berichten an dieser Stelle so ausführlich und aus Sicht der betroffenen Adressaten, da wir eine missbräuchliche Vorgehensweise vermuten.
Was fordern Martin Ismail und die IG Datenschutz?
Rechtsanwalt Lenard trägt vor, dass seine Mandantschaft einen Unterlassungsanspruch besitzen würde. Deutsche Gerichte hätten Betroffenen in den letzten zwei Jahren bei Datenschutzverstößen außerdem Schmerzensgelder in Höhe von bis zu 2.500 EUR zugesprochen. Merkwürdig ist, dass in der Abmahnung ein Unterlassungsanspruch zwar angedeutet wird, der Abmahner aber vordergründig die Zahlung eines Betrags in Höhe von 170 EUR fordert. Die Formulierungen scheinen jedoch bewusst so unklar gewählt worden zu sein. Es ist nicht nachvollziehbar, ob bei Zahlung des Betrags von 170 EUR auf eine Unterlassungserklärung verzichtet werden würde. Das LG München, Urteil vom 20.01.2022, Az. 3 O 17493/20, hat in einem solchen Fall einen Anspruch auf Unterlassung und Schadenersatz lediglich in Höhe von 100 EUR zugesprochen. Einige Privatpersonen nehmen dieses Urteil derzeit als Grundlage und verschicken eigene „Abmahnungen“ an zahlreiche Unternehmen. Darin fordern auch diese zur Zahlung von 100 EUR auf, um somit die eigene Haushaltskasse aufzubessern. Hier könnte ebenfalls eine Rechtsmissbräuchlichkeit vorliegen.
Wer ist die IG Datenschutz und Herr Ismail?
Das Kürzel IG steht für „Interessensgemeinschaft“. Auch ein Martin Ismail bzw. die Interessengemeinschaft Datenschutz ist bei uns bislang nicht aktiv in Erscheinung getreten. Wir haben jedoch recherchiert und eine Website gefunden, in der sich die Interessengemeinschaft Datenschutz präsentiert. Ausweislich unserer Recherchen ist diese Website aber erst im September online gegangen. Martin Ismail steht dort im Impressum als Verantwortlicher der Website der Interessengemeinschaft Datenschutz. Die Verlinkung auf Google Maps wurde zwischenzeitlich wieder entfernt. Wahrscheinlich weil die massenhaften, negativen Rezensionen (Shitstorm Betroffener) für „schlechte Stimmung“ gesorgt haben. Weitere Recherchen haben ergeben, dass der vollständige Name des Abmahners eigentlich Samir Martin Ismail lautet. Samir Martin Ismail ist geschäftsführender Gesellschafter der SMI Immobilien UG, Im Dorfe 40, 30453 Hannover. Gegenstand des Unternehmens ist die „Verwaltung eigener Vermögenswerte“ mit einem Stammkapital von 100 EUR. Zudem ist Samir Martin Ismail geschäftsführender Gesellschafter der SMI Beteiligungs UG, Im Dorfe 40, 30453 Hannover. Gegenstand dieses Unternehmens ist die „Beteiligung, Gründung, Kauf, Verkauf von Unternehmen“ mit einem Stammkapital von ebenfalls 100 EUR. Ausweislich der Eintragungen im Handelsregister ist Samir Martin Ismail am 30.07.1981 geboren worden. Schließlich ist Samir Martin Ismail Geschäftsführer der Elster Wohnungsverwaltungs GmbH, die sich mit der Verwaltung von Wohnungen, insbesondere die Verwaltung der im Eigentum stehenden Wohnungen der Frau Elisabeth Elster befasst.
Wo liegt die Rechtsverletzung bei der Nutzung von Google Fonts und wie kann man sich schützen?
Google Fonts sind zunächst Schriften (Fonts), die beim Aufbau der jeweiligen Webseite eine Verbindung zu Google herstellen (Nachladen der Schriften von Google Servern), wenn sie nicht lokal auf dem Server des Betreibers vorgehalten werden. Anhand der an Google übermittelten IP-Adressen könnte Google theoretisch den Anschlussinhaber identifizieren. An dieser Stelle könnte es daher zum notwendigen Personenbezug kommen. Dies jedoch nur eindeutig, wenn Google eine gerichtliche Anordnung gegen den Telekommunikationsanbieter, der die IP-Adresse vergeben hat, erwirkt. Der tatsächliche Nutzer könnte darüber hinaus durch Matching von Google ermittelt werden. Das passiert auch ohne die Nutzung von Google Fonts eben durch die aktive oder passive Nutzung von Diensten des Konzerns, was hier nicht zur Relativierung beitragen soll. Für Anwender gibt es darüber hinaus einfache Mittel, um sich vor einem solchen, ungewollten Datenabfluss auch eigenständig wehren zu können. Hier sollte die Nutzung des TOR Browsers oder auch des Brave Browsers (mit TOR Funktionen) nicht unerwähnt bleiben.
Wie könnte auf eine Abmahnung von RA Lenard im Auftrag der IG Datenschutz / Samir Martin Ismail reagiert werden?
Wir vermuten, dass es sich um eine massive Abmahnwelle handeln könnte. Unser Netzwerk ist deutschlandweit sensibilisiert. In allen Fällen von rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen braucht es meist eine längere Zeit und eines hohen Aufwands, rechtswidrigen Abmahnern auf die Schliche zu kommen. Von daher stehen im Moment mehrere Optionen für den Umgang mit Abmahnungen von Rechtsanwalt Kilian Lenard für die IG Datenschutz zur Verfügung. Sollten Sie auch betroffen sein, sollten Sie sich von einem Anwalt Ihrer Wahl beraten lassen. Die Erstberatung ist in der Regel kostenfrei. Kosten entstehen nur, wenn Sie Ihren Anwalt danach mit der Abwehr der Abmahnung beauftragen sollten.
Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) hat in einer Pressemitteilung vom 04.10.2022 durch Ihren Vorsitzenden Frank Spaeing ergänzt: „Wir raten Abgemahnten dringend zu überlegen, ob sie auf die Forderungen des Duos Ismail-Lenard eingehen wollen. Deren Forderungen scheinen rechtsmissbräuchlich. Wir raten aber ebenso den Abgemahnten auf ihrer Webseite die Online-Google-Fonts (sowie alle anderen rechtswidrig eingebundenen Dienste) zu deaktivieren.“
Mehrere Rechtsanwälte raten keinesfalls dazu, die Zahlungen an Kilian Lenard und seinen Mandanten Samir Martin Ismail zu leisten. Dadurch wird solchen Geschäftsmodellen nur weiter Vorschub geleistet. Deren Meinung nach stellt das ganze Verhalten hier einen Rechtsmissbrauch dar, weswegen wir uns nicht vorstellen können, dass Samir Martin Ismail und Kilian Lenard ihre Ansprüche erfolgreich gerichtlich durchsetzen können.
Webseitenbetreiber sollten nun dringend die Nutzung von Google-Fonts auf ihren Internetseiten überprüfen. Sofern sie aktuell Google-Fonts nutzen, sollte sie diese unverzüglich in eine lokale Nutzung abwandeln oder ganz darauf verzichten.
Optional gibt es auch die Möglichkeit schon vor Aufbau der Webseite unter Verwendung der dynamischen Version von „Google-Fonts“ eine Einwilligung des Webseitenbesuchers einzuholen – etwa mittels eines Consent-Tools (Wobei diese gesondert geprüft werden müssen).
Der tatsächliche Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Vorgaben löst zwar grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch aus, die Rechtsverletzung müssen Betroffene aber zunächst nachweisen. Die reine Behauptung der Verletzung von Datenschutzrecht reicht in der Regel nicht aus.
Sollte sich herausstellen, dass eine Privatperson oder eine Abmahnungskanzlei systematisch Webseiten ge- und besucht hat, um sich zu bereichern, könnte das zudem gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen. Dieses Gebot kann einer Rechtsdurchsetzung immer dann entgegenstehen, wenn primär sachfremde und nicht schutzwürdige Interessen verfolgt werden.
Der investigative Ansatz
Wir raten Betroffenen die Server-Logs des Zeitraums zu sichern und zu überprüfen. Bei einem „normalen“ Besuch einer Webseite lädt der Browser alle Inhalte der aufgerufenen Seite herunter, darunter fallen CSS- und JavaScript-Files, Bilder und weitere eingebundene Inhalte. So könnte man prüfen, ob es sich um einen echten Besuch gehandelt hat oder um einen „Crawling-Bot“. Wurde in den Fällen nur die Startseite aufgerufen und CSS-Dateien heruntergeladen? Wurden keinerlei andere Dateien heruntergeladen? Dann entspricht dies nicht der Norm und ist kein normales Nutzerverhaltens. Außerdem würde ein „normaler“ Browser in der Minimal-Variante eines Besuchs zumindest das Favicon (Icon einer Webseite im Browser-Tab) automatisch anfordern, welches in den Logs ersichtlich wäre. Ist dies nicht geschehen, könnte man von einem automatisierten Verfahren ausgehen, welches zur Datenbeschaffung verwendet wurde. Ein weiteres Indiz für die automatische Durchführung einer Abmahnwelle wäre der Log-Eintrag eines Impressum-Crawlers. Dies könnte für die automatische Erstellung der Briefe nützlich gewesen sein. Jeweils kurz nach oder vor dem „Besuch“ des Impressum-Crawler könnte ein Tool wie z. B. „Scrapy“ in den Logs auftauchen. Dieses eignet sich dafür, Screenshots anzufertigen und Inhalte aus Webseiten zu extrahieren. An uns wurden einige Infos herangetragen, dass die Domain-Namen bzw. die aufgerufene Webseite laut dem Schreiben aktuell nicht (mehr) so in einer Suchmaschine oder ähnlichem auffindbar wäre. Gelegentlich ändern Unternehmen ihren Namen bzw. legen sich eine neue Domain zu. In den meisten Fällen bleibt die alte, manchen noch bekannte, Domain aber noch online – es werden nur alle Besucher dann auf die neue Webseite weitergeleitet. So ist uns etwa auch ein Fall bekannt, bei dem im Schreiben die „alte“ Domain „xyz.de“ (fiktiv) angegeben wurde, diese aber sofort auf den neuen Domain-Namen „abc.de“ (fiktiv) weiterleitet. Der Besuch bzw. die Einbettung von Google Fonts fand also auf der neuen Seite „abc.de“ statt, obwohl die alte Domain „xyz.de“ im Schreiben erwähnt wurde. Darüber hinaus sollte das Vollmachtsdatum mit dem Abmahnungsdatum und den Server-Logs verglichen werden. Spannend wäre auch eine Vollmachtserteilung vor Server-Log-Einträgen. Auf einen Auszug zu angeblichen Protokollen des Antragstellers und ein Printscreen wie in diesen Fällen beigefügt, kann eine Begründung unserer Meinung nach auf keinen Fall ausreichend abgestellt werden.
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